Seegeschichten von Kapt. Erwin Schwarz

Seegeschichten 3

Matrosen

Im August 1959 wurde die gute alte “Olga” nach China verkauft, und wir mussten alle abmustern, das war in Delfzijl/Holland. Fast 15 Monate war ich an Bord und im nachhinein muss ich sagen: Die Zeit auf der “Olga” gehört zu den schöneren und erlebnisreicheren Episoden meiner Laufbahn. Das Kapitel ging also zu Ende und ich war eigentlich reif für die Matrosenprüfung; meiner Meinung nach. Gute Dienstzeugnisse hatte ich, die Berichtsbücher waren lückenlos und die erforderliche Fahrtzeit meinte ich abgeleistet zu haben. Also ab nach Hamburg und zur Prüfung anmelden. Da ging's dann auch prompt wieder los das übliche Theater mit den Sesselpupsern. “ Wir haben festgestellt, dass Ihnen noch 1 ½ Monate Fahrtzeit fehlen. Wir können Sie zur Prüfung erst zulassen wenn die Fahrtzeit komplett ist.” quakte mich der Zuständige an. Ich schlug vor, mich doch jetzt, da ich nun einmal an Land sei, zu prüfen und mir das Zeugnis erst nach Ablauf der fehlenden Zeit auszuhändigen. Nichts da, wiederkommen wenn die Fahrtzeit voll ist und basta. Also wieder zu Max, ein Schiff besorgen, das nicht so weit weg fuhr, ich wollte doch den Halunken auf der Prüfstelle nicht einen einzigen Tag schenken. M/S “Hansestadt Lübeck” hieß das Prachtstück, das Max mir ohne lange zu zögern anbot. “Genau das richtige für dich, fine ship, excellent owner (Reeder), Nord & Ostsee, immer vor der Haustür” pries Max verdächtig schnell mit einem hinterhältigen Grinsen dieses Fahrzeug an. “Wo ist der Haken, Baas ?”
“Na ja,” brummte Max, “ bischen alt vielleicht die Dame, bei Kriegsende in Dienst gestellt, allerdings Ende des 1. Weltkrieges, also bummelig vor gut 40 Jahren, paarmal umgebaut seitdem, die Leute bleiben immer nicht so lange an Bord, weiß nicht was da los ist. Aber du willst ja so wie so nicht lange bleiben und du kannst mir ja auch mal aus der Verlegenheit helfen, keiner will da so recht hin und wenn du das jetzt machst dann hast du auch einen gut bei mir und der nächste Dampfer soll ganz nach deinen Wünschen sein.”Also gut dachte ich, ran an den Speck, die 6 Wochen reißt du doch auf einer Arschbacke ab und dann bist du endlich Matrose, gab Max mein Buch, bekam den Heuerschein und ab ging's nach Kiel/Holtenau. In der Schleuse jumpte ich an Bord und fand mich auf einer echten Rostlaube wieder; ein Seelenverkäufer und Witwenmacher war dieses Schiff aber nicht, denn zu der Zeit als es gebaut wurde, sah man noch auf Sicherheit, nahm viel dickeren Stahl damit der Rost sich nicht so schnell durch die Platten fraß.

   
 

M/S “Hansestadt Lübeck” bei der Kanalpassage

 
Reederei: Poljo (Pohl & Joszwiak), Hamburg BRT:   679 LOA:  55,8 m
Baujahr: 1918 als Dampfer, später umgebaut zum Motorschiff TDW: 1924 to Speed: ca. 8kn
   
 

Reiserouten mit M/S Hansestadt Lübeck 1959
Häfen: Kiel, Ventspils (Windau), Gefle, Karlshamn, Karlskrona, Helsingborg, Ghent

 

Über die kurze Zeit an Bord gibt es nicht viel zu berichten, Unterkunft und Verpflegung waren miserabel, die Besatzung ein zusammengewürfelter Haufen roher und versoffener Kerle und der Kapitän und sein 1. Offizier hatten es längst aufgegeben auch nur einen Hauch von Disziplin durchzusetzen. So etwas spricht sich schnell herum an der Küste und die Leute gehen nur an Bord wenn sie gar nicht anders können oder wenn sie eh schon zum Abschaum gehören. Hat ein Schiff erst einmal einen schlechten Ruf, wird es ihn so schnell nicht wieder los. Kurz und gut, am 1. November 59 wurde ich krank, musterte ab in Ghent/Belgien, wurde sofort wieder gesund und nahm den nächsten Prüfungstermin in Hamburg wahr. Bestand sogar, bekam den Matrosenbrief, lungerte noch ein paar Tage in Hamburg herum, erinnerte Max an sein Versprechen und der gab mir tatsächlich gleich ein Schiff, wieder ein Dampfer. Noch 3 oder 4 Tage nach Klinkrade zum “Guten Tag” sagen und dann ab nach Bremen diesmal und einsteigen auf S/S “Söllingen” ex “Helga Bolten” von der Reederei Krupp Seeschifffahrt, einem Ableger des Krupp Stahlkonzerns.
Jetzt also als vollwertiger Mensch, als Matrose eben.

         
S/S-"Söllingen" ex "Helga Bolten"   Reiseroute 1959/60
Häfen: Bremen, Ipswich, Immingham, Vigo, Lissabon, Rotterdam

 

 

Reederei: Krupp Seeschiffahrt, Hamburg       Bauort: Baltimore       Baujahr: 1943      
Heimathafen: Hamburg Flagge: Deutsch   BRT: 7244
Type: Liberty Ship TDW: ca. 10000 to   HP: 2500 PS
Fahrtgebiet: Mittlere Fahrt LOA: 140 m    Speed: ca. 10 kn

 

Die Söllingen hatte schon ein bewegtes Schiffsleben hinter sich. Während des Krieges wurde sie als “Liberty Ship” als eines von einigen tausend (ca. 2700) Schiffen in den USA in Rekordzeit (das schnellste in 5 Tagen) zusammengeschustert um als Allzwecktransporter für Waffen, Munition und Proviant von USA & Canada nach Europa zu dienen, insbesondere nach Groß Britannien und Russland (Murmansk). Diese Schiffen fuhren in großen Convoys; sie waren DAS Angriffsziel für die deutschen U-Boote, es wurden viele “Liberties” versenkt. Aber es wurden wesentlich schneller und mehr  Schiffe gebaut als versenkt werden konnten.

Wie schon gesagt, die Schiffe waren für eine kurze Lebensdauer (maximal 5 Jahre rechnete man) schnell zusammengeschustert. Aber sehr viele überlebten dennoch den Krieg und waren bis Anfang der 60er Jahre die Lastesel auf den Weltmeeren. Ziemlich unbeliebt bei den Seeleuten da äußerst primitive Unterkünfte, keinerlei Komfort und dabei richtige Knüppelschiffe, die noch dazu durch die schlampige Bauweise nicht besonders sicher waren. Die “Söllingen” fuhr ab 1949 als “Rosemoor” für eine Reederei aus Newcastle, ab 1952 als “Helga” für Schlieker aus Hamburg, ab 1956 als “Helga Bolten” für die Reederei Bolten aus Hamburg und ab 1959 als “Söllingen” für Krupp. Am 30.10.56 geriet sie 400 Meilen ESE von Cape Race, Neufundland, in Seenot; die vorderen Luken waren eingeschlagen von schwerer See, das Schiff lief langsam voll Wasser und drohte zu sinken. Die 33 Mann starke Besatzung wurde vom Coastguard Kutter “Chincoteague” abgeborgen. Das Schiff sank dann doch nicht, Kapitän und Chief wurden wieder an Bord gebracht als das Wetter sich beruhigt hatte, holländische Hochseeschlepper brachten das Fahrzeug nach Horta auf den Azoren zur Notreparatur und von dort dann im Januar 57 nach Hamburg zur endgültigen Reparatur.

   
 

Die “Helga Bolten” in Seenot, wenn man genau hin sieht, kann man erkennen wie die Besatzung bei Luke 4 an Backbordseite in das Floß der “Chincotague” klettert und springt.

 

Dieses abenteuerliche Fahrzeug war nun mein erstes Schiff auf dem ich als Matrose anmusterte. Es war permanent in der Phosphatfahrt von Casablanca nach Häfen in England und Holland eingesetzt, d.h. in Ballast (ohne Ladung) südwärts und voll beladen mit Phosphat in Bulk von Casablanca nach Norden, ein ziemlich langweiliger und im Winter dazu noch äußerst unangenehmer Schütteltrip; dauernd durch die Biskaya mit ihrem ewigen Mistwetter. Wind und Sturm südgehend bei Leerschiff fast immer gegenan. Wegen des geringen Tiefgangs driftete das Schiff mehr, als es Fahrt voraus auf dem gewünschten Kurs machte. Der Propeller war nur halb unter Wasser und bei starkem Stampfen kam er oft ganz heraus und produzierte nur Schaum anstatt Vortrieb. Es ist vorgekommen, dass wir Ushant am Ausgang des Englischen Kanals an ein und demselben Tag 3 mal passiert haben, kaum hatten wir die Nase in die Biskaya gesteckt, blies uns der Sturm wieder zurück in den Kanal. Frustrierend. Auf dem Dampfer selbst merkte man an allen Ecken und Enden, dass es ein Billigbau war, Durchrostungen und Risse in der Tankdecke machten uns besonders bei schlechtem Wetter zu schaffen. Aus den Ballasttanks im Doppelboden drang dann Wasser in die Laderäume, die Wegerung (Holzbelag des Laderaumbodens) schwamm auf und schwabbelte lustig im Raum von einer Seite zur anderen, wurde dabei in kleine Splitter zerlegt, die dann wiederum die Bilgenlenzleitungen verstopften und es unmöglich machten die Räume trocken zu halten. Die vornehmste Aufgabe der Decksbesatzung nach Wetterberuhigung: Puzzle spielen ! d.h. die Bodenwegerung wieder zusammensetzen.

Pech für mich, dass ich nun gerade in der Winterzeit von November 59 bis März 60 an Bord war. Es sickerte durch, dass das Schiff zum Verkauf stand und ich beschloss, trotz aller Unzuträglichkeiten, noch bis zum Verkauf an Bord zu bleiben. Im März 1960 war es dann so weit, das Schiff wurde in Rotterdam an einen Griechen übergeben und kam unter Panama- Flagge. Später hörte ich, dass es noch im selben Jahr in der Straat Kidjang, einer Meerenge im indonesischen Archipel nicht weit von Singapore, auf Grund gelaufen war, als Totalverlust galt, dann aber doch noch abgeborgen werden konnte und in Hongkong verschrottet wurde.

  Der neue Rang brachte Vorteile: die Heuer schoss nach oben, 300 Mark gab es jetzt und 1,50 Mark pro Überstunde und 15 Tage Urlaub pro Jahr. Überstunden fielen immer reichlich an, so dass 450-480 Mark verdient werden konnten, genug um einiges für das kommende Studium an der Navigationsschule zurücklegen zu können. Dann, als Matrose, stand man nicht mehr ganz unten auf der hierarchischen Stufenleiter an Bord, wurde nicht mehr von jedem herumkommandiert und geschurigelt. Im Gegenteil, man konnte selbst schon mal Orders an die Junggrade geben und mit den Heizern, Schmierern, mit Koch und Steward verkehrte man von gleich zu gleich. Matrosen arbeiteten selbstständig und hatten die Junggrade anzuleiten, alle an Deck vorkommenden Tätigkeiten mussten sie beherrschen, angefangen bei der Bedienung des Ankerspills und zu Ende bei Zurrung von Ladung. Dazwischen lag ein weites Feld, teilweise waren artistische Fähigkeiten erforderlich und schwindelfrei zu sein war ein zwingendes Erfordernis. Zwar gehörten Segel, Stengen und Rahen der Vergangenheit an, aber Masten und Ladebäume mussten nach wie vor entrostet und gemalt werden, laufendes und stehendes Gut musste weiterhin kontrolliert und gelabsalbt werden, die Blöcke und Schäkel des Ladegeschirrs regelmäßig abgetakelt und überholt werden. Bootsmannsstuhl und Stellage waren wichtige Hilfsmittel. Ich könnte die Aufzählung noch lange fortsetzen, aber das führt zu weit, ich zeige lieber noch ein paar Bilder die den Ausspruch “Jeder Seemann ein Artist” beweisen mögen.

     

Vorkante Brücke malen

Mast malen, Hanger labsalben

Lukendeckel reparieren

Im März sehen wir uns mal ein wenig Huelva an, und wie es dort zu des Generalissimus Zeiten in der Calle Gran Capitan und anderswo aussah. Farewell bis dann.

 

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Calle de Gran Capitan

 

 

 
M/S “Luise Leonhardt”

 

Huelvafahrt
Reederei: Leonhardt & Blumberg, Hamburg BRT:   5916 LOA:  132,7 m
Bauwerft:  Flensburger Schiffbaugesellschaft, Flensburg TDW: 10350 to Speed: 13 kn
Heimathafen: Hamburg Flagge: Deutsch HP: 3500 PSe
Typ: General Cargo Fahrtgebiet: Gr. Fahrt  
Das Schiff war während meiner Zeit an Bord in der Huelvafahrt eingesetzt. Dienstgrad: Matrose (1961) 2. Offizier (1964)

 

Sollte diese unansehnliche kleine Straße in Huelva wirklich zu Ehren des Gran Capitan, des nachmaligen Almirante und Vizekönigs Cristoforo Colon, gebürtig aus Genua und groß und berühmt geworden in spanischen Diensten, wirklich nach ihm “Calle Gran Capitan” benannt worden sein, so wurde ihm damit keine große Ehre erwiesen. Als ich diese Gasse Anfang der 60er Jahre kennenlernte, war sie schlicht und einfach das Rotlichtviertel der kleinen, etwas verschlafenen Hafenstadt in Andalusien. Seeleute der wenigen Frachter und Fischer waren die Gäste; aber auch verantwortungsvolle spanische Väter mit ihren geschlechtsreifen Söhnen waren anzutreffen um dafür zu sorgen dass diese von den versierten Fachkräften, die ohne Zweifel dort mit rechtem Eifer ihren schweren Dienst versahen, in die Liebeskunst eingewiesen wurden bevor sie auf ihre Novias und späteren Ehefrauen losgelassen wurden.Wenn ein oder vielleicht sogar zwei Schiffe im Hafen festgemacht hatten war High Life in allen Spelunken und Tabernas. Der bauliche Zustand der Gasse ließ etwas zu wünschen übrig, ein Schlagloch ging in das andere über und vom ehemaligen Steinpflaster fand sich nur hie und da noch ein Stückchen; bei Regen waren Gummistiefel angesagt, aber die hatten Seeleute ja. Bei uns hieß diese Gasse respektlos nur “Schlammstraße”. Lange wusste ich nicht einmal ihren richtigen Namen.

3 Liegeplätze für größere Schiffe gab es, die Tharsis Pier lag mitten im Sumpfgebiet zwischen den großen Salzpfannen gegenüber der Stadt und war sehr unbeliebt, da man nur mit dem Boot an Land konnte; die Muelle Rio Tinto war eine uralte Stahlkonstruktion nahe bei der Stadt und gut zu erreichen aber besonders des nachts ziemlich gefährlich da überall rott und fast nur mit Schwarzlicht beleuchtet, allzu dun sollte man schon nicht sein wenn man von Land zurückkam. Am beliebtesten war aber die Stadtpier, von hier aus lag alles was einen Seemann interessieren konnte in fußläufiger Distanz.

Geladen wurde an allen 3 Piers nur Pyrit (Schwefelkies) und dessen Abbrände. An der Tharsis Pier kam das Erz direkt mit einer Spezialbahn aus den Tagebauminen bei dem Dorf Tharsis, etwa 40 km nördlich gelegen und an den anderen beiden Plätzen aus den Minas de Rio Tinto in den Bergen etwa 75 km nordöstlich von Huelva. Die Beladung war umständlich und zeitraubend, da die Anlagen alt, schlecht gewartet und für so große Schiffe nicht gebaut waren. An der Rio Tinto waren Förderband und Schütte viel zu kurz für die breiten Schiffe und so war “La Plancha” das wichtigste Hilfsgerät um auch Ladung auf die Seeseite des Schiffes zu bekommen. “La Plancha” war weiter nichts als eine große Stahlplatte die unter die Schütte gehängt wurde und mit der man das Erz auch in abgelegene Ecken des Schiffes leiten konnte. Um den Einsatz von “La Plancha” musste jedes Mal hart gekämpft werden denn das Händeln des Ungetüms von Platte war reine Handarbeit und das entsprach überhaupt nicht dem Naturell der eher behäbigen Stevedores von Huelva. Aber so lernten wir auch die grässlichsten spanischen Flüche gelassen hinzunehmen.

Pyrit ist der Grundstoff zur Herstellung von Schwefelsäure, enthält aber manchmal auch große Anteile von Kupfer, Eisen und geringere an Silber. Die Reederei hatte einen großen Kontrakt mit der Duisburger Kupferhütte für den Transport nach Rotterdam und Dordrecht. Dort wurde das Erz dann umgeschlagen in Binnenschiffe und ging rheinaufwärts in das Ruhrgebiet.

     
 

Huelva mit seinem Hafen

 

“Was ist nun, geh'n wir nu' heute Abend an Land oder nicht? Wenn Du noch ein paar Peseten hast, solltest Du jetzt nicht nein sagen, Du könntest was verpassen denn mit etwas Glück können wir großes Theater erleben”, so sprach Jonas mein Kammergenosse. “Ooch, mit meinem poco dinero wollte ich eigentlich nur rübergehen in die Anlagen und ein paar Chocos essen, die Calamares sind heute morgen erst angelandet worden, hab' ich selbst gesehen, und dann vielleicht noch auf die “Rennbahn” (Calle Conception) und ein, zwei oder auch drei raciones Coquinas zusammen mit dem guten weißen Wein vernaschen (Du weißt ja, die schenken die Gläser immer randvoll da oben in der kleinen Taberna, wie heißt sie doch gleich noch?) und dann draußen hinsetzen, Kaffee und Carlos Primero schlabbern, nur ein bisschen, und dem spanischen Volk, besonders dem jungen Volk, beim Flanieren zusehen; Mädchen auf, Jünglinge ab, lustige Wortgefechte finden statt, alles unter den wachsamen Augen von Müttern, Tanten, Omas oder sonstigen Anstandspersonen, der Hochzeitsmarkt per se. Ja, und dann weiter zur Plaza ins “Cafe Pelayo”, da spielt heute die Musik, es ist doch Sonnabend, oder? So ein, zwei Bier vielleicht, nicht mehr. Und wenn dann noch ein bisschen Geld übrig ist in die Avenida de Alemania, da gibt es eine kleine Bar, ich weiß nicht ob Du die kennst, die machen ganz prima Gambas a la Plancha con Ajillo, sehr wohlschmeckend, und es wird ein guter und ziemlich starker Sherry ausgeschenkt und, wenn man Glück hat, gibt es eine schöne Musik dort, die machen die Gäste, meist Fischer, selbst. Sie singen die alten Liebeslieder, die Heldengesänge und Balladen in diesem eigenartigen andalusichen Stil, die Melodien erinnern so stark an die Zeit der Morisken und könnten auch irgendwo in Arabien gesungen werden und Du merkst auch, dass Andalusien lange Zeit Heimat für viele Zigeuner war. Diese Lieder verzaubern und machen gleichzeitig melancholisch; man versteht kein Wort aber weiß genau was gemeint ist.” “Und dann?” fragt Jonas. “Dann ist das Geld wohl alle und ich tüffel zurück an Bord und geh zur Koje.” “Allein?” “Ja was denn sonst, ohne Moos nichts los.” “Und das soll ein Landgang sein und noch dazu am Wochenende, wo morgen doch nicht gearbeitet wird? Das hört sich ja eher nach einem Kulturfilm an. Avenida de Alemania, so dicht bei der Schlammstraße und nicht mal eingucken? Dies ist abartig!! Angebot: Ich bin ganz gut bei Kasse, ich leih Dir was, wir machen Deinen geplanten Bildungsausflug zusammen, aber nach den Fischern, Mauren und Zigeuners gehts ab in die Calle Gran Capitan ins Theater. Na, wie is's?” Nu, ich hatte Maruja lange nicht gesehen und das versprochene Theater reizte mich doch. Also fiel ich um und nahm sein Angebot an. “Aber dafür kommst Du morgen dann mit nach Punta Umbria an den Strand, das mit dem Boot habe ich schon mit dem Chief Mate klargemacht, wenn Du mitkommst sind wir 8 Mann, wir können uns einen schönen Tag machen.” “Gut, gut, wenn ich heute Nacht nicht versacke und es mir gut geht morgen, will ich Dir den Gefallen wohl gern tun, und nun gib Ruhe, mach dich landfein und lass uns abschießen sonst verpassen wir noch was”, so sprach mein vergnügungssüchtiger Jonas jetzt, und er hatte auch recht, wir könnten ja wirklich was verpassen. Schnell waschen und putzen und ab ging's. Wir lagen an der Stadtpier, die war immer stark von streunenden Kötern frequentiert, etwa wie auf dem folgenden Bild. Da mussten wir erst einmal durch, danach wurde es dann leichter.

 

     

 

Gassi gehen bei der christlichen Seefahrt

 

Wir spulten dann unser Programm wie besprochen ab und als  wir in der Avenida de Alemania anlangten schallten uns schon die Gesänge aus der Bar entgegen und wir waren schon so weit angeschickert dass wir ohne weiteres hätten mitsingen können, wenn man uns denn gelassen hätte. So beschränkten wir uns auf's essen, trinken und zuhören und wir hielten Frieden mit den einheimischen Sängern und man ließ uns aus lauter Dankbarkeit ungeschoren. Als wir uns dann auf den Weg in die Calle Gran Capitan machten war es schon fast Mitternacht, gerade die richtige Zeit. In der Schlammstraße gab es mehrere billige Bars und Kneipen und einen Nachtclub, auf diesen steuerte Jonas los. “ Mann Jonas, was willst Du da denn, viel zu teuer und vielleicht sitzen da der Alte und ein paar Steuerleute oder Ings, das is nix für uns, gibt bloß Ärger” meinte ich. “Ach was, woll'n wir nu ins Theater oder nich?” kam die Antwort und ruck zuck waren wir drin in dem Schuppen. Schummrige Beleuchtung, altmodische plüschige Eleganz, nicht allzu viel Betrieb, von Kapitän oder Offizieren war aber nichts zu sehen. Wir setzten uns an einen abgelegenen Tisch, wehrten 2 Bienen ab die es sich bei uns gemütlich machen wollten, was uns einen missbilligenden Blick von der amtierenden Puffmutter einbrachte, und bestellten Bier. “Und wann fängt nun Deine Theatervorstellung an?” fragte ich meinen Jonas. “Wart's nur ab, kann nicht mehr lange dauern” sprach's, trank einen Schluck und wies zur Tür.

Enter: The Master! Gefolgt vom Herrn Konsul! Ohne Zweifel der Konsul, sein roter Bart und Haarschmuck waren einmalig in Huelva und machten ihn unverwechselbar. Die beiden setzten sich an einen reservierten Tisch an prominenter Stelle, die oberste Damenbetreuerin scharwenzelte um sie herum, nahm wohl Bestellungen für Getränke und weibliches Begleitpersonal entgegen.
Ein weiterer Gast erschien, blieb ein Weilchen am Eingang stehen und musterte Lokal und menschlichen Inhalt eingehend bevor er sich zu dem Alten und dem Konsul setzte und nach freundlicher Begrüßung sogleich auf den Kapitän einredete indem er auf uns wies. Wer zum Teufel war das? Dunkle Brille, schütteres Haar, kleiner Schmerbauch und eine auffällig hohe Stimme; ah, jetzt hatte ich es, das musste der Kommandant der Guardia Civil in Huelva sein. In Zivil. Ich hatte ihn öfter an Bord bei der Einklarierung gesehen und gehört, da natürlich immer in Uniform und mit diesem eigenartigen schwarzen Lackhelm, dem “Tricornio” aber besser bekannt als “La mala Sombra” (Der böse Schatten). Der hatte uns natürlich sofort mit seinem Polizeiblick gesehen und machte den Alten auf uns aufmerksam. Der wiederum schoss böse Blicke in unsere Richtung, wir sahen lieber woanders hin. Nach kurzem Palaver mit der Mama San verschwanden die drei vornehmen Herren dann mitsamt Begleitung in ein Hinterzimmer.
Ende der Vorstellung.

“Mein Lieber Jonas, war das nun alles? Was sollte das denn eigentlich für ein Stück werden? Verrat's mir doch mein lieber Jonas, sei so freundlich” ärgerte ich Jonas ein wenig. “Ach Mensch, so ein Scheiß. Weißt Du, der Messesteward hat so ein bisschen gelauscht beim Alten und hat gehört, dass die drei sich für heute Abend hier verabredet haben, sie wollten mal ein bisschen feiern nach all der vielen Arbeit. Was das beim Alten und dem Konsul heißt “ein bisschen feiern” das weißt Du ja wohl. Die sollen da ja richtig die Sau rauslassen, so mit Striptease und auf dem Tisch tanzen und was weiß ich mit welchen anderen kleinen Schweinereien; manchmal halten die Mädchen ja nicht ganz dicht und plaudern aus der Schule. Und da wollte ich gern mal Mäuschen spielen. Hat ja nu nich geklappt und das diese Kneipe noch ein Hinterzimmer hat, hab ich auch nich gewusst. Schade.” So bedauerte Jonas. “Ich wusste ja gar nicht, dass Du bei so was gerne zusiehst; selbst ist der Mann, Jonas, selbst ist der Mann.” stichelte ich, “ und wer weiß was wir alles anstellen müssen um in Schwung zu kommen wenn wir erst mal so alt sind wie die drei hochgestellten Persönlichkeiten.” “Da hast Du auch wieder recht, komm, wir gehen rüber auf die andere Straßenseite in einen Laden wo wir das Bier auch bezahlen können und vielleicht finden wir ja noch Gegner für ein Straßenrennen zurück an Bord.” Diese Straßenrennen waren zwar sehr beliebt aber die Organisation erforderte einiges Glück und Talent. Folgendes war nötig: 1.) es galt einen Gegner zu finden, der furchtlos genug war, ein Rennen zu wagen; 2.) es galt 2 Kutscher zu finden, die furchtlos genug waren, ein Rennen zu wagen  und 3. es galt einen oder mehrere Sponsoren zu finden, die sich an den Kosten beteiligten und furchtlos genug waren solch ungesetzliches Tun zu unterstützen. Durchgeführt wurde das Rennen mit Droschken, die mit Mulis bespannt waren und gängiges Personentransportmittel waren. Manchmal ließen sich Kutscher gegen einen saftigen Aufpreis dazu überreden im schnellen Trab um die Wette zu fahren, zum Beispiel von der Schlammstraße bis zur Stadtpier. Die Rennen waren nicht gefährlich, gefährlich war nur die Guardia Civil, denn wenn die einen dabei erwischte, dann setzte es was und man ging mindestens für den Rest der Nacht in den Knast. Die Guardia Civil war nicht für große Rücksichtnahme bekannt. Es war von Vorteil, dass die Kutscher die Streifenroutine der Guardia kannte, aber ein Restrisiko blieb immer, denn die eisenbeschlagenen Räder machten einen Heidenlärm und die Möchtegern Rennpiloten liebten es, ihre Mulis mit lautem Geschrei anzutreiben in der sonst eher stillen Nacht der immerhin Provinzhauptstadt Huelva. Jonas organisierte alles, hier hatte er mehr Glück als mit seiner vermaledeiten Theatervorstellung; es ging alles gut und als die wilde, verwegene Jagd am Hafentor ihr Ende fand war es alles in allem doch ein recht vergnüglicher Landgang geworden.

Das Huelva der Francozeit war arm und ziemlich zurückgeblieben, das Leben verlief in alten, von der Diktatur vorgegebenen Kreisen, kaum Fortschritt, kaum Industrie und wenig Tourismus, über der Stadt lag immer so eine gedrückte Totengräberstimmung. Der Generalissimus hielt das Land mit 2 Erzkonservativen Mächten fest im Griff; mit der katholischen Kirche und der Guardia Civil. Die Leute in der rabenschwarzen Soutane mit dem runden Hut und die Leute in der grünen Uniform mit der lackschwarzen “La Mala Sombra” waren allgegenwärtig und passten auf.

 

 

 

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Ein Mann Gottes

 

Männer des Staates

Nochmals zu Columbus: Der ist im August 1492 von Palos ausgelaufen zu seiner 1. Reise nach Indien wie er meinte. Palos liegt nicht weit von Huelva, etwa 1 ½  Meilen südlich auf halbem Wege zum Atlantik an der Mündung des Rio Tinto in den Rio Odiel. Es gibt ein ziemlich hässliches Columbusdenkmal am nördlichen Ufer und seit 1992 Nachbauten der 2 Karavellen “Pinta” und “Nina” und der Nao “Santa Maria” zu bestaunen.

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“Nina”,  “Santa Maria” und “Pinta”

 

Die “Santa Maria” vor dem Columbusdenkmal

Das war's für dieses Mal, tschüs bis bald.

 

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Kollision

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M/S “Ingrid Leonhardt”

 

Reiserouten 1961 & 1967/68

 

Reederei: Leonhardt & Blumberg, Hamburg BRT:   5932 LOA:  137,2 m
Bauwerft:  Flensburger Schiffbaugesellschaft, Flensburg TDW: 10350 to Speed: 13 kn
Heimathafen: Hamburg Flagge: Deutsch HP: 3500 PSe
Typ: General Cargo Fahrtgebiet: Gr. Fahrt Baujahr 1954
  Dienstgrad: Matrose (1961) 2. Offizier (1964)

Am 2. Juni 1961 hatte ich auf der “Ingrid Leonhardt” angemustert. Das Schiff lag in Vlaardingen nahe Rotterdam und löschte eine Ladung Schwefelkies aus Huelva und sollte die nächste Reise auch wieder dorthin machen; in Ballast hin und mit Schwefelkies zurück. “Ingrid Leonhardt” war ein Schwesterschiff der “Luise Leonhardt”, die dem Leser ja schon aus der letzten Geschichte bekannt ist. Ich kannte mich also mit Schiff und Ladehafen aus. Die Reederei hatte 5 Schiffe diesen Typs, alle in Flensburg gebaut; es war der Standardtyp der damaligen Zeit. Ausrüstung und Bauart waren modern und die Unterkünfte für die Besatzung waren angemessen, die Crew war durchweg in 2-Mannskammern, Offiziere, Assistenten und Unteroffiziere in Einzelkammern untergebracht. Die Navigationsausrüstung war auf dem neuesten Stand. Kreiselkompass, Radar, Funkpeiler und Selbststeuer waren vorhanden. Die 5 Laderäume hatten alle 1 Zwischendeck, es gab 12 Leichtgut-Ladebäume à 5 to Hebekraft und einen Schwergut-Ladebaum mit 20 to Hebekraft. Alle Ladewinden, das Ankerspill, die Verholwinde und die Rudermaschine hatten Elektroantrieb. Und ganz wichtig, die Ladeluken wurden mit stählernen Lukendeckeln (MacGregor Single Pull) verschlossen; allerdings die Zwischendecksluken hatten noch hölzerne Deckel (spöttisch Hand MacGregor genannt). Das alles waren natürlich erhebliche Arbeitserleichterungen gegenüber den alten Dampfschiffen und zusammen mit den guten Kammern und  sanitären Anlagen machte es das Bordleben viel angenehmer und wenn man dann noch das Glück hatte einen guten Koch zu haben, ließ es sich wohl aushalten.

Am 3. Juni gegen 16 Uhr war die Entlöschung beendet, das Seeklarmachen ging schnell mit den MacGregor Lukendeckeln und so konnten wir nach getaner Ausklarierung die Reise um 18 Uhr antreten. Bis Hoek van Holland war es nur 1 Stunde Revierfahrt, dann noch 20 Minuten bis zu Lotsenabgabe bei der Maastonne und schon waren wir wieder unter uns auf See, die 1280 Meilen bis Huelva konnten wir bei gutem Wetter in knapp 4 ½ Tagen schaffen.
Ich war vom 1. Offz. zur Hundewache (00-04 und 12-16 Uhr) eingeteilt worden und war's zufrieden.

Wir würden also auf meiner Wache die Straße von Dover passieren; da war immer ordentlich was los, viel Verkehr besonders auch viel Querverkehr durch die zahlreichen Fähren vom Kontinent nach England und zurück. Wenn dann noch Fischer dazukamen, die immer gleich flottenweise auftraten und sich nur um den Standort der Heringsschwärme kümmerten und Verkehrsregeln Verkehrsregeln sein ließen, dann war das Chaos perfekt. Noch ein bisschen Nebel dabei und die Kapitäne richteten sich häuslich auf Brücke und Kartenhaus ein, lebten von Kaffee und Zigaretten und waren auf nichts und niemand gut zu sprechen. Die Heringssaison in der südlichen Nordsee hatte schon begonnen und die Heringslogger waren besonders beliebt weil ihre Treibnetze so schön lang waren, bis zu 4 Meilen und nur etwa 10-12 Fuß unter der Oberfläche.

“Reise reise, zwanzig vor 12, Alsterwetter, klar,15 Grad, trocken”. Das war der Weckruf und er bedeutete: “Komm hoch, es ist 20 Minuten vor Mitternacht, ruhige, spiegelglatte See, gute Sicht, kein Regen und 15 Grad warm”. So wusste man gleich was zu erwarten war und wie man sich anzuziehen hatte; in 10 Minuten würde er noch mal wiederkommen und wenn man dann noch nicht hoch war, zu rabiateren Mitteln greifen um eine pünktliche Wachablösung sicher zu stellen. Unpünktliche Ablösung war kein Kavaliersdelikt!

Ich hatte den ersten Rudertörn und übernahm einen Kurs von 135° am Kompass. Mein Vorgänger wies mich noch auf einen Mitläufer an Backbord hin, geschätzt ½ Meile Abstand,der gut durch die offene Ruderhaustür zu sehen war und meinte noch: “ Der ist schneller als wir, der überholt uns.” “Gute Wache” wünschte er und ich antwortete traditionell “Gute Ruhe”. Der Ausguck wurde auch abgelöst nachdem er dem neuen Mann alle sichtbaren Feuer und Schiffe gezeigt und übergeben hatte. Dort in der Nock ebenfalls, diesmal auf platt “Goode Wach” und  “Goode Ruh”. Der Flötentörn brachte Kaffee für die neue Wache, der 3. und der 2. Steuermann waren auch mit der Wachübergabe beschäftigt; Kurs, Geschwindigkeit, Stromversetzung, Sicht, Verkehrslage, Position und Wachorderbuch und pi pa po. Der 2. Steuermann kontrollierte die Position noch mit einer Kreuzpeilung am Peilkompass in der Backbord Nock, dann gingen beide ins Kartenhaus, der 2. wohl um die Peilung in die Karte einzutragen, der 3. um die letzten Tagebucheintragungen für seine Wache zu machen.

“Der Mitläufer an Backbord ändert Kurs nach Steuerbord, ich kann jetzt seine grüne Lampe sehen, mein Gott, der läuft uns direkt vor den Steven, gleich knallts” brüllte der Ausguck aus der Backbord Nock ins Ruderhaus. Beide Steuerleute stürzten aus dem Kartenraum auf die Brücke. Von meinem Platz am Ruder sah ich jetzt, wie sich von Backbord das andere Schiff schnell vor unseren Steven schob und hörte den 2. Steuermann schreien: “Ruder hart Steuerbord” und  “Maschine stop”. Ich wiederholte “Hart Steuerbord” und legte das Ruder hart über, der 3. Steuermann legte den Telegrafen auf Stop, aber noch bevor das Schiff auf das Ruder reagieren konnte und das Maschinenkommando von unten quittiert war, gab es einen ohrenbetäubenden Knall gefolgt von einem fürchterlichen Quietschen und Knirschen als sich der Stahl unseres Schiffes in den Stahl des anderen Schiffes fraß, dabei zerriss und sich verformte und so die ungeheure Energie der Zusammenpralls ganz plötzlich absorbiert wurde. Die gute “Ingrid” schüttelte sich wie wild, die Masten und die aufgetoppten Ladebäume wackelten, es schepperte überall, lose Teile flogen nach vorne gegen die Brückenfenster und das Schott, das Kaffeegeschirr kam von hinten angesaust und fand sein Ende am Schott, die lose auf dem Tisch liegenden Ferngläser, der große Masters Chair, der wegen des ruhigen Wetters nicht gelascht war, und der Hocker für den Steuermann machten sich selbstständig, das Rack mit den Signalflaggen kam von oben und der 3. Steuermann ging zu Boden, Bücher hüpften aus den Regalen, Chaos herrschte allenthalben. Jetzt endlich stoppte die Maschine, das Schiff aber reagierte nicht auf das Ruder, es war fest mit dem anderen Schiff verkeilt; dort gingen jetzt alle Lichter aus.

Maschine “Voll zurück” orderte der 2. Steuermann, ich hüpfte schnell zum Maschinentelegrafen und legte auf “Voll zurück”, ging schnell wieder ans Ruder und sah, dass die Kreiselkompassrose sich wie rasend drehte.  “Kreiselkompass ausgefallen” meldete ich, “Magnetkompass ok”. Als ich den Zusammenstoß kommen sah, hatte ich mich fest am Steuerstand angeklammert und war nicht zu Boden gegangen. Die Maschine sprang auf rückwärts an und wieder gab es ein gewaltiges Kreischen von zerreißendem Metall, als sich unser Schiff ganz langsam vom Kollisionsgegner löste. “Ruder mittschiffs; was liegt an?” kam vom 2. Steuermann. “ Mittschiffs, 150 Grad am Magnetkompass geht durch, Schiff dreht langsam nach steuerbord” meine Antwort. Jetzt erschien der Kapitän auf der Brücke, er konnte noch nicht in der Koje gelegen haben, war noch komplett angezogen. Er verschaffte sich schnell einen Überblick und übernahm das Kommando. Die Orders kamen von ihm, als wenn er sein ganzes Leben nichts anderes gemacht hätte als schwierige Situationen zu meistern. Die Geräusche von vorne hörten auf, wir waren frei vom anderen Schiff. “Maschine Stop”, “Dritter geben Sie Generalalarm”, “Funker auf der Brücke?” “Ja, Funker hier!” “Geben Sie eine Dringlichkeitsmeldung raus : Kollision mit unbekanntem Schiff mit Position und Uhrzeit, Name Kollisionsgegner unbekannt, Kollisionsgegner zur Zeit unbeleuchtet, scheint Probleme mit der Stromversorgung zu haben.....Moment, geht gleich weiter....

“Zweiter, rufen Sie in der Maschine an, geben sie Kurzinformation über das was passiert ist und ordern Sie einen Ing. oder Assi auf die Brücke als Kontaktmann, fragen Sie nach Verletzten und Schäden, dann gehen Sie zum Sammelplatz, checken die Leute, stellen fest ob es Verletzte gegeben hat, schicken den Zimmermann und einen Matrosen nach vorne auf die Back, die sollen dort auf den Chiefmate warten und sie sollen Taschenlampen mitnehmen und soviel Sonnenbrenner wie möglich klarlegen und die Decksbeleuchtung auf dem Vorschiff einschalten. Ist der Chiefmate schon auf der Brücke?” “Hier im Kartenhaus!” “ Ok, gehen Sie nach vorne und verschaffen sich einen Überblick über unsere Schäden, Meldung schnellstmöglich, vor allen Dingen ob das Schiff Wasser macht oder nicht.” “Ok, ich nehme eine Flüstertüte mit und gebe das wichtigste gleich durch”. Ab ging der Chiefmate. “ Zweiter, wenn Sie die Leute gecheckt haben sofort Steuerbord Boot klarmachen, ausschwingen und am Bootsdeck beiholen, Bereitschaftsbootscrew einsteigen lassen. Motor starten , Meldung machen wenn soweit klar.” “Dritter, Sie bleiben bei mir auf der Brücke, alles im Brückenbuch notieren mit Uhrzeit, jetzt versuchen Sie festzustellen wo der Kollisionsgegner ist, weisen Sie den Ausguck ein, geben Sie Signale mit der Morselampe.” “Funker es geht weiter: geben Sie die Meldung auf der Seenotfrequenz raus und nehmen Sie Scheveningen Radio als Koordinator, fordern Sie insbesondere die Englandfähren zur Hilfeleistung auf, die haben schnelle und große Boote und sagen Sie auch, dass wir den Gegner Mittschiffs im Bereich Maschinenraum getroffen haben und die Möglichkeit besteht, dass er Wassereinbruch im Maschinenraum hat. Jetzt schnell raus mit der Meldung und machen Sie ihre Klappe zur Brücke auf, dann können Sie am Gerät sitzen bleiben und ich kann Ihnen meine Orders direkt geben.” “Alles klar Herr Kapitän, geht los.” In beiden Nocken liefen die Besatzungsmitglieder jetzt zusammen, alles schrie durcheinander und wollte wissen was los ist. “Ruhe da draußen, was wollt ihr hier oben, es ist Generalalarm, scheert euch zum Sammelplatz, damit wir feststellen können, ob alle da sind und ob es Verletzte gibt, dort werdet ihr vom 2.Steuermann informiert, im Augenblick besteht keine Gefahr wie ich das sehe und jetzt verschwindet hier, wir haben zu tun und ihr auch, die Orders kriegt ihr vom 2. und macht keinen solchen Spektakel, tut euern Job verdammte Kaffern.” Der Alte war zornig. “Dritter, schon was zu sehen vom Gegner?” “Ich meine ja, so 2 Strich an Backbord sehe ich ein paar kleine Lichter sich hin und her bewegen, wie wenn Leute mit Taschenlampen unterwegs sind, ja, jetzt erkenne ich auch Morsezeichen , die offensichtlich mit einer Aldislampe gegeben werden.” “Ok, haben Sie unseren Morsescheinwerfer klar? Dann nehmen Sie Verbindung auf, fragen Sie zuerst nach Namen, Schäden, Wassereinbruch, Verletzten und eventuell Toten, geben Sie unseren Namen und sagen ihm, dass die Dringlichkeitsmeldung raus ist und wir alsbald Hilfe, insbesondere von Fähren erwarten. Fassen Sie sich kurz, nehmen Sie sich einen der Ausgucks zum mitschreiben.” Der Dritte fing an zu morsen und der Alte hatte inzwischen auch das dunkle Schiff entdeckt und manövrierte vorsichtig näher heran, so etwa  auf 3-400 m. Jetzt wurden drüben rote Handfackeln abgebrannt und wir wussten nun sicher, dass wir unseren Kollisionsgegner gefunden hatten.

Aus der Maschine kam Meldung, dass es keine Verletzten unten gab und größere Schäden nicht feststellbar waren, nur einiges war umgefallen oder aus den Halterungen gesprungen, vom Bootsdeck kam Meldung, dass alle Leute außer 4 Maschinisten anwesend waren und es größere Verletzungen nicht gab, nur einige Prellungen bei Leuten die aus der Koje gefallen oder sonst wie zu Boden gegangen waren, nichts ernstes; die 4 fehlenden Leute waren in der Maschine und auch gesund konnte der Alte den 2. beruhigen. Man hörte jetzt die Geräusche wie das Boot klargemacht wurde, alles ging offensichtlich ruhig von statten. Von vorne brüllte der Chiefmate jetzt durch das Megafon: “Alle Schäden über der Wasserlinie, ein Riesenloch bis zum Ankerspill, Kollisionsschott nicht beschädigt, unsere Vorpiek läuft jetzt leer nach außenbords, soweit zu erkennen keine Gefahr für unser Schiff.” “Ok” schrie der Alte zurück, “lassen Sie alle Tanks und Bilgen durchpeilen, sehen Sie sich die Sache noch genauer an und kommen dann wieder rauf.”

“Gut, Maschine informieren dass keine Gefahr besteht, alle Brennstofftanks peilen lassen und sagen Sie denen auch, dass viele kleine Manöver zu erwarten sind, die sollen auf die Anlassluft aufpassen.” “Ok, werde ich alles so durchgeben.” sagte der Assi, der inzwischen Posten am Telefon bezogen hatte. “Funker, geben Sie an Scheveningen durch, dass für uns keine Gefahr besteht und wir keine Hilfe benötigen, dass Hauptmaschine und Stromversorgung in Ordnung sind und wir voll manövrierfähig sind. Geben Sie auch durch, dass wir den Gegner in Sicht haben und dass bei ihm die Stromversorgung immer noch nicht funktioniert, offensichtlich auch nicht über Notgenerator oder Notbatterie und wir daher große Schäden vermuten. Moment....... “Dritter, wissen wir schon den Namen?” “Ja”, gab der zurück “Ein Limey (Engländer) Name “Goodwin”, Schäden: Hauptschalttafel, Notgenerator und Batterie zerstört, Wassereinbruch Maschinenraum, 2 Schwerverletzte, machen Boote klar.” “Funker, haben Sie das mitgekriegt? Geben Sie das so mit raus und sagen Sie auch, dass wir mit unserem Boot rüberfahren und wenn nötig die Besatzung mit abbergen.” “In Ordnung” schrie der Funker durch die Klappe, “ich habe hier noch was von Scheveningen” und reichte einen Zettel durch. Der Alte las “Aha, 2 Fähren sind unterwegs hierher, auf der einen sind auch 2 Ärzte als Passagiere, müssten etwa in 15-20 Minuten hier sein. Gut, gut.”

Jetzt kam der Zweite auf die Brücke und meldete das Steuerbord Boot klar, der Motor lief, das konnte man gut hören.
”Ja Zweiter, dann lassen Sie noch ein paar Decken und auch Rettungsringe in das Boot schaffen, Tragbahre nicht vergessen! und dann fahren Sie rüber und sehen zu, ob Sie helfen können, versuchen Sie auch an Bord zu gehen und ungefähr einen Überblick über die Schäden zu bekommen, aber kein unnötiges Risiko, vergessen Sie nicht ein gutes Glas und ein paar Taschenlampen. Das Schiff peilt etwa 170° und die Distanz ist etwa 300 m, sehen Sie es?” ”Ja, ich kann es gut erkennen, wenn das Boot klar ist zum fieren sag ich nochmal Bescheid” gab der Zweite zurück und ging wieder auf das Bootsdeck. Der Chiefmate kam jetzt zurück vom Vorschiff, gab kurz Bericht an den Kapitän, der schickte ihn gleich mit auf das Bootsdeck um das zu Wasser lassen des Bootes zu überwachen. ”Bei dem ruhigen Wetter brauche ich wohl kein extra Lee zu machen, ist ja spiegelglatt die See und Dünung läuft auch kaum” sagte der Alte noch. Das Boot kam gut zu Wasser und machte sich auf den Weg.

Inzwischen waren auch die angekündigten beiden Fähren in Sicht gekommen, sie näherten sich mit hoher Fahrt dem Unglücksort.

Der Funker meldete sich:”Ich habe Direktverbindung mit einer der Fähren auf der ”ship to ship” Frequenz, sie wollen mehr Informationen.” ”Sagen Sie ihnen alles was wir wissen, und dass wir sie anmorsen werden, damit sie uns finden, und außerdem dass unser Boot unterwegs ist und dass sie 2 Schwerverletzte haben und dringend einen Arzt benötigen und dass wir selbst keine Hilfe benötigen.”

Jetzt gingen auf dem Havaristen ein paar Lichter an. ”Gott sei Dank, die haben ihren Notdiesel wohl doch noch in Gang gekriegt, mein lieber Mann, sehen Sie das Riesenloch an seiner Steuerbordseite? Und Schlagseite scheint er auch zu haben aber nicht zu viel, vielleicht so 5-10°, sieht noch nicht allzu gefährlich aus”, sagte der Alte zum Dritten.

”Meldung an die Fähre ist raus” schrie der Funker durch die Klappe ”und ich habe die ”Goodwin” jetzt direkt auf der Seenotfrequenz.” Sagen Sie ihm dass unser Boot gleich bei ihm sein müsste und geben Sie ihm die Namen der beiden Fähren und er soll direkt Kontakt mit ihnen aufnehmen und fragen Sie ihn wie es steht bei ihm, ob er das Schiff verlassen muss oder die Lage einigermaßen unter Kontrolle hat.” ”Ok Herr Kapitän, geht los.” Jetzt kam der Zimmermann mit seinen Peilungen und alles war in Ordnung, außer dass die Vorpiek jetzt leer statt voll war; mal anders rum, das Schiff läuft leer statt voll. Auch aus der Maschine kam die beruhigende Meldung, dass mit den Tanks alles in Ordnung war. Dann kam die erlösende Nachricht vom Funker: ”Die Goodwin meldet, dass der Wassereinbruch unter Kontrolle ist, man konnte dem Schiff durch fluten von Tanks an Backbordseite eine Schlagseite geben, so dass die Leckage jetzt über der Wasserlinie liegt und kein weiteres Wasser eindringt, außerdem sagt er, er habe jetzt Verbindung mit der Fähre und die schicken ein Boot mit dem Arzt um die Verletzten abzuholen und es würden jetzt Schlepper bestellt, um das Schiff auf den Haken zu nehmen. Er bittet uns, noch auf ”Stand By” zu bleiben und unser Boot noch bei ihm zu lassen bis das Boot von der Fähre angelangt wäre und er sich absolut sicher sei, dass er sein Schiff nicht verlassen müsse; sein Backbord Boot sei auch klar aber leider nur ein Ruderboot, das Steuerbord Boot sei verschwunden und würde wohl bei uns auf der Back liegen.” ”Ja gut Funker, jetzt beschränken Sie sich bitte auf's zuhören und lassen Sie die ”Goodwin” alles direkt mit den Fähren abwickeln, das sind Landsleute und wird am besten funktionieren. Wir bleiben hier auf ”Stand By”. Chiefmate?” ”Ja hier!” ”Übernehmen Sie mal hier oben, ich muss ein Telegramm an die Reederei fertig machen, sonst sagen die nachher: ”Wir haben heute morgen in der Zeitung gelesen, dass...” ”Kapitän, die Leute wollen wissen was los ist, was kann ich denen erzählen?” fragte der Erste. ”Alles, alles was wir wissen, holen Sie sich einen vertrauenswürdigen Mann, am besten den Bootsmann, und klären Sie die Leute auf, vergessen Sie die Maschinisten nicht!”

Der Alte ging ins verwüstete Kartenhaus und schrieb seine Botschaft an die Reederei, wir konnten derweil beobachten wie ein Boot sich von der Fähre löste und zur ”Goodwin” fuhr. Beide Fähren waren jetzt recht nahe am Havaristen und beleuchteten ihn mit ihren starken Scheinwerfern, wirklich ein Scheunentor von einem Loch in seiner Seite, aber sehr weit oben. Da unser Schiff leer war und der spitze Vorsteven weit aus dem Wasser ragte wurden die größten Schäden oberhalb der Wasserlinie angerichtet, Gott sei Dank hatten Frachtschiffe damals noch keinen Wulstbug, dann wäre die ”Goodwin” verloren gewesen.

Leider habe ich keine Bilder von den Schäden, die diese Kollision auf den beiden Schiffen anrichtete, aber um einmal zu verdeutlichen wie so etwas aussehen kann hier  2 Bilder von anderen Zusammenstößen.

 

 

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Dies ist ein Schwesterschiff, die ”Bernd Leonhardt” nach einer Kollision mit dem US Flugzeugträger ”Saratoga” 1960.

 

Dies ist der Supertanker ”Evoikos” nach einer mit einem anderen Tanker 1997 in der Singapur Straße. Damals liefen 29000 Tonnen Öl aus.

Seit dem Zusammenstoß waren nun 3 Stunden vergangen und ich stand immer noch am Ruder, langsam taten mir die Beine weh und ich verlangte nach Ablösung. ”Nichts da, hier setz dich auf den Hocker, abgelöst wird erst, wenn diese Sache hier vorbei ist” blaffte der Chiefmate. Na, das waren ja schöne neue Sitten, am Ruder sitzen, das war bis dato unerhört aber gar nicht so schlecht.

Der Funker meldete sich wieder: ”Das Boot von der Fähre ist jetzt da, der Arzt ist an Bord. Unser Boot ist entlassen und kommt jetzt zurück, wir möchten es mit Morsezeichen zu uns leiten, da bei den vielen Lichtern jetzt vom Boot aus schwer zu erkennen ist wer wer ist. Wir möchten immer noch auf ”Stand By” bleiben, bis die Schlepper da sind, die Fähren würden gerne weiterfahren wenn die Verletzten an Bord sind um ihre Fahrpläne nicht allzu sehr durcheinander zu bringen.” Der Alte hatte mitgehört und gab sein Einverständnis, er wusste ja eh noch nicht, wo die Reederei ihn hinbeordern würde. Die Schlepper kamen aus Ostende, waren schon unterwegs und würden etwa in einer halben Stunde ankommen.

”Ich sehe jetzt die Lichter von unserem Boot, sie haben uns wohl ausgemacht und halten direkt auf uns zu” rief der Dritte jetzt. ”Die Leute sind noch auf dem Bootsdeck, rufen Sie runter, dass das Boot kommt und dass sie Schmeißleinen klarhalten um die Fangleinen an Bord zu nehmen, ich geh`gleich runter wenn der Kapitän mit seiner Message fertig ist” sagte der Chiefmate. Der Kapitän war gerade fertig und gab dem Funker das Telegramm ”und schärfen Sie Norddeich Radio ein, dass die sofort den Reeder selbst und den Inspektor zu Hause aus dem Bett klingeln und nicht lange rumbummeln, die Nummern stehen im Telegramm, sicherheitshalber stehen noch ein paar andere Nummern drin falls keiner der beiden erreichbar ist.” ” So, jetzt ist erst einmal alles in die Wege geleitet und es heißt abwarten, ich denke wir werden zurück nach Rotterdam laufen und die Reparaturen bei Wilton Fijennoord machen lassen falls die ein Dock frei haben” meinte er dann noch. Unser Boot kam längsseit, die Crew wurde mit viel Hallo begrüßt, sie kletterte, bis auf 2 Mann die im Boot mit aufgehievt wurden , über die ausgebrachte Lotsenleiter an Bord und alle waren sicher auch glücklich das es eigentlich recht glimpflich abgelaufen war.

2 Schlepper kamen in Sicht, die Fähren verabschiedeten sich und machten sich wieder auf den Weg, die eine nach Harwich und die andere nach Hoek van Holland. Der Kapitän der ”Goodwin” entließ uns aus dem ”Stand By” mit Dank für Hilfe und Assistenz. Unser Kapitän manövrierte uns etwas weiter weg vom Ort des Geschehens um den Schleppern bei ihrer Arbeit nicht im Wege zu sein und ging dann selbst erst ein mal nach vorne, um sich ein eigenes Bild von den Schäden zu machen. Bald kam ein Telegramm von unserem Inspektor mit der Order, nach Rotterdam zurück zu laufen und bei der Werft Wilton Fijennoord in Schiedam längsseit zu gehen. Ich wurde endlich am Ruder abgelöst, die Wache war eh zu Ende. Auch ich machte mich natürlich gleich auf den Weg nach vorne um zu sehen wie ein kaputtes Vorschiff aussah.

Auf der Back ein Trümmerfeld, verknäultes und aufgerolltes Metall bis zum Ankerspill, etwa 10 m, dazwischen Teile von der ”Goodwin” unter anderem auch ein zertrümmertes Rettungsboot , im Kabelgatt war kein Durchkommen; Festmacheleinen, Persenninge, Farben, Ölfässer und was sonst noch an Reserveteilen, Werkzeug und Ausrüstung dort lagerte war alles gut durchmischt und wegen ausgelaufener Farbe und Öl war es ein gefährlicher Ort. Wenn man über die Kante sah, konnte man das klaffende Loch in der Vorpiek sehen und wieder jede Menge verbogenes und gerissenes Metall. Das sah nach einer längeren Werftzeit aus.

Es wurden dann 3 Wochen und für uns war es eine schöne Zeit damals im schönen Sommer 1961 bei Wilton in Schiedam. Etwa 500 m hinter dem Werfttor, mitten in einem schönen Park, gab es ein sehr angenehmes Lokal, ”Het Pavillioen” mit Namen. Die Getränkevorräte waren gut bemessen, das Essen schmeckte, am Wochenende gab es handgemachte Musik und wenn die zahlreichen griechischen Seeleute unbedingt Sirtaki tanzen wollten so stellte der Wirt auch gerne ausreichend Teller zum kaputtschmeißen zur Verfügung. Der Krug war auch ein beliebter Treffpunkt von weiblichem Haus- und Krankenhauspersonal. Kurz: Es mangelte an nichts.

Aber das ist eine andere Geschichte.
Wir treffen uns wieder im nächsten Monat auf dem Rio Orinoco

Tschüß

 

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Rio Orinoco

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M/S “Adolf Leonhardt”

 

Reiserouten 1960/61 & 1963

 

Reederei: Leonhardt & Blumberg, Hamburg BRT:   7066 LOA:  145,4 m
Bauwerft:  Deutsche Werft, Hamburg TDW: 13130 to Speed: 13 kn
Heimathafen: Hamburg Flagge: Deutsch HP: 3500 PSe
Typ: General Cargo Fahrtgebiet: Große Fahrt Baujahr 1951
  Dienstgrad: Matrose (1960/61) 3. Offizier (1963)

 

M/S “Adolf Leohardt” war das letzte Schiff, das der Heuerbaas Max vom Heuerstall Hamburg mir vermittelt hat und es war mein erstes Schiff bei der Reederei Leonhardt & Blumberg aus Hamburg. Das war im April 1960 und ich blieb dann bis zum April 1961 - ein gutes Jahr - an Bord. Bei der Reederei aber sollte ich dann bis zum Juni 2000 bleiben, mit einer Unterbrechung von 4 Jahren. 25 Jahre an Bord und 11 Jahre als Inspektor an Land und ich muss sagen, da gibt es nichts zu bereuen. Als ich damals als Matrose anfing, fuhren so 10-12 Schiffe unter der Kontorflagge von L&B, als ich 2000 als Inspektor in den Ruhestand ging waren es um die 30 Schiffe und heute sind es wohl 50 Fahrzeuge; ein rasanter Aufstieg kann man wohl sagen.

“Adolf Leonhardt” war im September 1951 als damals größtes Schiff der deutschen Nachkriegsflotte von der “Deutsche Werft”, in Hamburg abgeliefert worden. Zu Heiligabend des gleichen Jahres verlor es während einer Sturmreise im Nordatlantik das Ruder. Kapitän und Besatzung gelang es unter großem Einsatz und seemännischem Können ein Notruder zu bauen und später Schlepper festzumachen um nach Bremen geschleppt zu werden. Die Zeitungen waren damals voll von einer anderen schweren Havarie die die “Flying Enterprise” in demselben Sturm betroffen hatte, und so konnte sich die “Adolf Leonhardt” nahezu unbehelligt von der Presse in den Hafen schleichen und in aller Ruhe die Schäden reparieren und dann zur Tagesordnung übergehen.

Ich stieg also in Hamburg-Harburg ein, das Schiff sollte in Ballast nach Puerto Ordaz am Rio Orinoco versegeln, dort eine volle Ladung Eisenerz für Philadelphia und Trenton in den USA nehmen und dann mit Kohle aus Newport News oder Norfolk zurück nach Nordenham und/oder Farge gehen. Diese Rundreise würde knapp 2 Monate dauern, davon ca. 50 Tage auf See.

Das Schiff gefiel mir auf Anhieb, gut in Farbe: außenbords schwarz, Masten und Ladebäume gelb, Aufbauten und Masthäuser weiß, Hauptdeck rot und Luken hellgrau. Das Poopdeck und die Aufbaudecks waren mit Holz belegt. Die Mannschaftskammern lagen achtern unter dem Hauptdeck auf 2 Decks und waren durchweg Zweimannskammern. Ungewöhnlich war, dass die Mannschaftsmesse sich im Masthaus zwischen den Luken 4 und 5 befand. Das war einerseits im Hafen zwar nicht besonders angenehm, wenn mit eigenem Geschirr gearbeitet wurde. Die Ladewinden standen genau über unseren Köpfen und machten einen nicht unerheblichen Lärm, andererseits hatte der Moses nur einen kurzen Weg über Deck zur Kombüse im Mittschiffsaufbau so dass man wohl damit rechnen konnte dass das Essen noch warm und bei schlechtem Wetter auch ohne größere Beimengungen von Seewasser bei uns ankam. Noch eine weitere Besonderheit: das Schiff hatte 6 anstatt der üblichen 5 Ladeluken.

An Bord herrschte ein ruhiger, unaufgeregter Umgangston sowohl unter den Crewmitgliedern als auch zwischen den Offizieren und der Crew, das Verhältnis zwischen Deck und Maschine war gut und das blieb auch während meiner ganzen Zeit an Bord so. Ein englisches Sprichwort sagt: “Happy ship - efficient ship” was in etwa bedeutet: “Glückliche und zufriedene Besatzung - wirtschaftlich gut funktionierendes Schiff”. Die “Adolf Leonhardt” fiel ohne Zweifel unter diese Kategorie.

Meine erste Reise ging nun also nach Puerto Ordaz, das genau am Zusammenfluss des Orinoco mit dem großen Nebenfluss Rio Caroni liegt. Der Orinoco selbst ist neben dem Rio de la Plata, dem Amazonas und dem Magdalenenstrom einer der großen Flüsse Südamerikas. Alexander von Humboldt hat ihn auf seiner großen, 5 Jahre dauernden, Südamerikareise  (1799 - 1804) ausgiebig mit dem Boot bereist, erforscht und in seinem großen Werk “Reise in die Equinoctial Gegenden des Neuen Kontinents” gründlich beschrieben. Dabei hat er auch eine Wasserverbindung des Orinocosystems mit dem Amazonassystem entdeckt und konnte so unter anderem die verblüffende Ähnlichkeit von Fauna und Flora der beiden Flusssysteme erklären. Puerto Ordaz war 1960 eine ganz neue Ansiedlung und wurde 1961 mit der alten Stadt San Felix zu Ciudad Guayana vereinigt; mittlerweile ist es eine Millionenstadt. Dorthin waren wir also nun unterwegs.

Ich war zur 4 - 8 Wache beim 1.Offz. eingeteilt was zeitmäßig die angenehmste Wache war, morgens um ½ 4 Uhr aufzustehen war nicht so schlimm und wenn die Wache um 8 Uhr zu Ende war konnte man nach dem Frühstück immer noch gut bis mittags zutörnen und so täglich 3 ½ Überstunden machen. Abends nach Wachende um 20 Uhr war immer noch ein wenig Zeit für Kartenspielen, Klönschnack, lesen oder was es sonst noch für bescheidene Vergnügungen an Bord gab. Als sich nach 2 Tagen die Bordroutine für den Seetörn eingespielt hatte und die südliche Nordsee und der englische Kanal mit ihrem starken Schiffsverkehr nebst dem üblichen Sauwetter glücklich passiert waren, als die Sonne wieder zu scheinen begann, die frische Atlantikluft und lange Dünung das Versprechen mitbrachten, dass vor uns 4000 Seemeilen tiefes Wasser lagen und das gegenüberliegende Land zu einem anderen Kontinent gehörte, da atmeten alle auf und freuten sich auf die vor uns liegenden 14 Seetage ohne die landgebundene Hetze. Bis auf die beiden neuen Schiffsjungen natürlich. Die wurden jetzt erst einmal richtig seekrank, konnten nicht leben und nicht sterben und mussten sich dazu auch noch den Spott und die “guten Ratschläge” ihrer gesunden Schiffskameraden anhören.

Der 1. Offz. war ein umgänglicher und fast immer freundlicher Mann und nachdem ich ihm erzählt hatte, dass ich mich schon an der Seefahrtschule in Lübeck angemeldet hatte, um mein A5 zu machen, war er gern bereit mich ein wenig zu unterweisen und gewährte mir Zugang zu Seekarten und Handbüchern und anderen Geheimnissen des Kartenhauses. Er erklärte mir, dass wir nach dem Passieren von Landsend am Ausgang des Kanals auf dem Großkreis nach den Bocas del Dragon, der Durchfahrt zwischen Trinidad und der Halbinsel Paria in den Golf von Paria versegeln würden. Der Kurs würde uns eben nördlich an den Azoren vorbeiführen und uns sehr bald in die Schönwetterzonen der Rossbreiten und des Passats bringen. Gut für das Schiff, wir könnten unsere Verschönerungs- und Überholungsarbeiten ungestört von Spritzwasser, Regen und sonstigen Unbilden durchführen.

Im Golf von Paria würden wir den Revierlotsen aufnehmen, den Golf dann ganz durchqueren um ihn an seinem südlichen Ende durch die Boca de la Serpente wieder zu verlassen und dann auf einem südöstlichen Kurs nach ca. 1 Stunde die Mündung des Cano Macareo zu erreichen. Der Cano Macareo ist einer der vielen Mündungsarme des riesigen, etwa 330 km breiten Orinocodeltas. “Warum gerade den Macareo und nicht den weiter südlich direkt in den Atlantik mündenden Hauptarm, der doch laut Karte wesentlich breiter und dazu längst nicht so kurvenreich ist ?” fragte ich. “Der südliche Arm hat nicht genug Wasser; eben weil er so breit ist fließt das Wasser nur langsam, die Unmengen von Sedimenten die der Strom mit sich führt haben Zeit sich abzusetzen und so bilden sich viele Bänke, die sich zudem auch noch laufend verändern. Das macht die Navigation gefährlich, ein Festkommen ist schnell passiert und Schlepperhilfe ist weit. Es wird aber ein neues Fahrwasser gebaggert, es soll schnurgerade über die große vorgelagerte Barre führen und gut befeuert werden und soll noch in diesem Jahr eröffnet werden. Wollen doch mal sehen, wir werden ja noch öfter dort hin kommen. Vorerst müssen wir noch mit dem rasch fließenden und kurvenreichen Macareo, der zudem nur tagsüber befahren werden kann, vorlieb nehmen. Das Fahrwasser ist 15 bis 20 m tief außer auf der vorgelagerten Barre natürlich, aber die ist erst kürzlich von den Amerikanern ausgebaggert und betonnt worden. Bei Springflut tritt manchmal eine Flutwelle (spanisch: Macareo) von 2 - 3 m Höhe auf, die muss vor Anker liegend abgeritten werden. In Fahrt besteht die Gefahr, dass das Schiff quer schlägt und Grundberührung hat. Deswegen muss das Schiff mit einem Heckanker ausgerüstet sein; falls einmal auf dem schmalen Fluss geankert werden muss, soll dieser Anker dafür sorgen, dass das Schiff immer stromrecht liegen bleibt. Du hast dich sicher schon gewundert wozu wir in Hamburg das Ungetüm von altem Stockanker achtern an Deck genommen haben; auf dem Fluss wird er dann “Klar zum Fallen” am Heck über die Kante gehängt. Hoffen wir nur, dass wir ihn nicht gebrauchen müssen.” So erklärte mir der Chiefmate alles genau.

Die Überreise verlief ruhig und ohne dramatische Ereignisse, die beiden Decksjungen genasen nach 2 - 3 Tagen von ihrer Seekrankheit und konnten wieder am menschlichen Leben teilnehmen, die Besatzung von immerhin 36 Mann lernte sich kennen und obwohl bei einigen Leuten doch ein paar skurrile Eigenarten zu Tage kamen hatte mein erster Eindruck nicht getrogen, fast alle an Bord kamen gut miteinander aus. Es gab viel Arbeit, aber es gab auch angenehme Freiwachstunden.

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  Entrosten der Lukendeckel mit Rostmaschinen  
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Lüfterbezug flicken

 

Lukensüll konservieren
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Seesonntag 1

  Seesonntag 2

Ach ja, ein kleines Ereignis, wenn auch kein dramatisches, fand doch noch statt: Der Chiefmate wollte gerne einen Kabelgattsmatrosen haben, er war das so gewohnt von seiner vorherigen Reederei und hatte den Alten jetzt überredet, den Posten hier auch einzuführen. Der Kabelgattsmatrose stand rangmäßig so zwischen Bootsmann und Matrosen und war zuständig für Ausgabe und Pflege von Ersatzteilen, Werkzeug und Verbrauchsmaterial wie Farbe, Reinigungsmittel, Ölen und Fetten, rührte wohl auch selbst verschiedene Farben wie Bleimennige, Zink-und Bleiweiß an und ganz wichtig: er setzte die Labsalbe, die ganz notwendig zum konservieren von stehendem und laufendem Gut gebraucht wurde, nach eigenem Geheimrezept aus Pferdefett, Holzteer, Tran und noch weiteren Zutaten, an. Ferner befasste er sich hauptsächlich mit den rein seemännischen Arbeiten wie Drähte und Tauwerk spleißen zu Stroppen, Festmachern, Ladeläufern, Hangern und Preventern, er nähte neue Bezüge, Persenninge und Sonnensegel oder flickte sie nach alter Segelmacher Art. Kurz gesagt, der Kabelgattsmatrose erledigte die interessanteren Arbeiten, sein Arbeitsplatz war Kabelgatt und Farbenschapp. Die Wahl fiel auf mich, ich war ab sofort Tagelöhner, brauchte keine Seewache mehr zu gehen und die Arbeitszeit lag zwischen 0600 und 1800 Uhr und jede Nacht war nun eine Bauernnacht. Es gab zwar nicht mehr Geld für diesen Job aber Prestige und angenehme Arbeitszeit waren ja auch nicht zu verachten.

Trinidad kam in Sicht, der Passatwind schob kräftig von achtern, so dass wir mit dem leichten Schiff teilweise 14 Knoten liefen und schon am 24. April nachmittags konnten wir bei Port of Spain den Lotsen an Bord nehmen. Wir durchquerten den Golf, verließen ihn am südlichen Ende durch die Boca de la Serpente und gingen noch vor Einbruch der Dunkelheit vor der Mündung des Macareo zu Anker; nicht zu nahe am Land um von den Moskitos und anderem stech- und beißlustigem Insektengesindel unbehelligt zu bleiben. Die Regenzeit hatte noch nicht begonnen; so hatten wir Glück und es blieb trocken über Nacht. Wegen der großen Hitze unten in den Kammern schliefen viele Leute an Deck, einige hatten Hängematten, andere schleppten ihre Matratzen nach oben, alle hofften im Freien ein wenig besser zu schlafen, gegen unverhofften Regen schützten ja fürs erste die aufgeriggten Sonnensegel.

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Nordwestlicher Teil des Deltas (Radaraufnahme)

 

Mündung des Macareo (Radaraufnahme)

Als sich am nächsten Morgen so gegen 0900 Uhr der Frühdunst verflüchtigt hatte und beide Flussufer gut auszumachen waren, gingen wir Anker auf und begannen unsere 65 Seemeilen lange Fahrt durch das riesige Sumpfgebiet des Deltas. Die Ufer des Macareo waren dicht mit Mangroven bewachsen, ab und zu trieb eine schwimmende Insel aus ineinander verknäuelten Wasserpflanzen vorbei. Viele rosa gefärbte Ibisvögel flogen auf wenn unsere Bug und Heckwelle in die Mangroven rauschte und alle anderen friedlich fischenden Vogelarten beschwerten sich mit ohrenbetäubendem Geschrei und Gekrächze über die ungebetene Störung. Anfangs war der Cano noch recht breit (etwa 800 - 1000 m) und ziemlich gerade aber nach ungefähr 2 ½ Stunden  fing er dann doch an kräftig zu mäandern und verengte sich auf etwa 500 m so dass wir in scharfen Bends so manches mal mit dem Heck gefährlich nahe an das Ufer gerieten. Die Moskitos machten sich jetzt ziemlich unangenehm bemerkbar und trotz der großen Hitze tat man gut daran möglichst wenig unbedeckte Haut zu zeigen. Ich weiß jetzt nicht, ob damals ”Autan" schon erfunden war, wir hatten jedenfalls keines an Bord und mussten leiden.

Von den Warao Indianern, die das Orinocodelta bewohnen, haben wir leider nichts gesehen, nur ein paar offensichtlich verlassene Pfahlbauten an 2 Stellen. Der Lotse erklärte uns, dass die Indianer sich vom Macareo weitgehend zurückgezogen hatten seit in den 50er Jahren die Großschifffahrt auf dem Fluss begann. Durch die rücksichtslose Fahrweise mancher Kapitäne und Lotsen seien viele Boote gesunken und auch wohl einige Pfahlhäuser zerstört worden so dass die Leute an die kleineren und nicht von Seeschiffen befahrenen Canos ausgewichen seien.

Nach etwa 6 oder 7 Stunden erreichten wir dann gegenüber der kleinen Ansiedlung  Macareo de Santo Nino den breiten aber viel flacheren westlichsten Mündungsarm, den Cano Manamo und kurz darauf den Hauptfluss Orinoco bei der Stadt Barrancas. Hier, am Punkt an dem der Strom sich in die Mündungsarme aufteilt (Bifurkationspunkt), änderte sich die Landschaft vollständig, das Sumpf- und Mangrovengebiet wurde abgelöst von höheren Ufern, teilweise sogar lehmige Steilküsten und vereinzelt kam auch nackter Fels zutage. Das Fahrwasser war zum Teil betonnt und einige wenige Richtbaken erleichterten die Navigation an den zahlreichen Bänken und Riffen vorbei. Nachdem Barrancas ganz nahebei mit langsamer Fahrt passiert war, konnte wieder ”Voll voraus" gegeben werden, das Fahrwasser gewann an Breite und Tiefe. Der Fluss war nun stark befahren von Booten aller Art; Einbäumen von denen aus gefischt wurde, offene und gedeckte Boote, die Passagiere und Ladung mannigfaltigster Art transportierten, denn Straßen und befahrbare Wege an Land waren kaum vorhanden. Die Leute in den Booten, meist Indianer, winkten uns alle freundlich zu und würden uns wohl gern von ihren Fischen oder dem Obst und Gemüse etwas verkauft haben aber natürlich, als zivilisierte Menschen hatten wir für so etwas keine Zeit, wir mussten ja dringendst nach Puerto Ordaz um mit zu helfen, die reichen Bodenschätze für billiges Geld außer Landes zu bringen.

  Etwa auf halbem Wege zwischen Barrancas und Puerto Ordaz tauchten dann an backbord auf erhöhtem felsigen Ufer, alte spanische Festungsanlagen auf, ”Los Castillos de Guayana". Von dort aus hatte die große Kolonialmacht den Fluss gut unter Kontrolle halten können. Der britische Abenteurer, Entdecker, Kaperfahrer, Pirat, Admiral, Parlamentsabgeordnete, Gouverneur, Günstling der jungfräulichen Königin Elizabeth und Historiker Walter Raleigh, der für seine vielen erfolgreichen Raubzüge und Untaten( unter anderm hatte er großen Anteil an der Unterdrückung und Kolonisierung Irlands) von der Königin Elizabeth zum Ritter geschlagen wurde, also Sir Walter Raleigh genannt werden mußte, der hat sich an dieser Festung im Jahre 1616 die Zähne ausgebissen als er auf seiner Suche nach ”El Dorado" versuchte, den festen Platz zu erobern. Das Unternehmen schlug so fehl wie es nur ging und Sir Walter verlor seinen Kopf; der Nachfolger der Königin, Jacob mit Namen, hatte nicht so viel Geduld mit ihm und schickte ihn zur Hölle (um Spanien zu besänftigen), so sind sie halt die Mächtigen.

Etwa 1 Stunde nach ”Los Castillos" tauchte dann die Erzverladeanlage von Puerto Ordaz hinter einer Flussbiegung auf. Riesige rotbraune Erzhalden, kreuz und quer verlaufende kilometerlange Förderbänder und eine einzige Schütte, die allerdings eine Kapazität von 3000 tons pro Stunde haben sollte; unser Schiff also in 4-5 Stunden vollknallen konnte. So schnell konnten wir unseren Ballast gar nicht lenzen.

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Ein Grieche an der Erzpier

 

Die Eisenerzhalden in Puerto Ordaz

Ein Pierplatz war frei für uns und so konnten wir gleich bei Ankunft Längsseite gehen. Der Rio Caroni mit seinem tiefdunklen, klaren Wasser mündete hier in den Orinoco mit seinem lehmbraunen sedimentträchtigen Fluten; die Grenze zwischen den beiden unterschiedlichen Wassermassen war ganz scharf ausgeprägt und verlor sich erst nach einigen Meilen. Die Strömung des Caroni war mit etwa 5 - 6 kn fast doppelt so stark wie die des Orinoco. Nicht weit flussaufwärts von der Erzpier gab es ein großes Gebiet mit starken Stromschnellen (heute eingedämmt und zur Stromerzeugung genutzt). Der Lotse brachte das Schiff gegen den Strom Längsseite, Schlepper wurden dazu nicht gebraucht. Die Beladung ging dann wirklich sehr schnell, nach 8 Stunden konnten wir schon wieder auslaufen; zum Landgang blieb dieses mal keine Zeit.

 

 

 

Stromschnellen des Rio Caroni

 

Zusammenfluss Caroni/Orinoco

Das war's für diesmal, tschüss bis zur nächsten Story, die mit folgendem Zeichen beginnt:

     

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Winter Nordatlantik

 

 

 
M/S “Marie Leonhardt”

 

Reiserouten 1961-64 & 1974/75

 

Reederei: Leonhardt & Blumberg, Hamburg BRT:   10516 LOA:  151,6 m
Bauwerft:  Flensburger Schiffbau Gesellschaft TDW: 15650 to Speed: 12,5 kn
Heimathafen: Hamburg Baujahr 1958 HP: 4670 PSe
Typ: Massengutfrachter Fahrtgebiet: Große Fahrt  
Flagge: Deutsch, dann Österreich, Liberia, Zypern  
Dienstgrad: Matrose (1961/62), III. und II.Offizier (1963/64), Kapitän (1974/75)

 

Der ehrenwerte Mr. Samuel Plimsoll, Abgeordneter im großbritannischen ”House of Commons", war außerordentlich zornig und empört, er hatte die Nase voll jetzt, es reichte ihm endgültig! Wieder waren 2 britische Handelsschiffe in der Keltischen See im Sturm gesunken, 24 englische Seeleute hatten den Tod gefunden, nur vereinzelt wurden Wrackteile an die felsigen Küsten Cornwalls getrieben, gerade genug um die Schiffe zu identifizieren und deren Untergang zu bestätigen. Die Reeder konnten die Versicherungssummen kassieren; für die Angehörigen der verschollenen Seeleute gab es gar nichts, sie vergrößerten das Heer der Elenden im damals reichsten Land der Welt.
Mr. Plimsoll beschloss, etwas zu unternehmen.

In der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts häuften sich die Totalverluste in der britischen Handelsflotte dramatisch, insbesondere ältere Schiffe gingen verloren, zumeist mit Mann & Maus. Grund: Die Schiffe waren fast immer  viel zu tief abgeladen. Es war ein offenes Geheimnis, dass dies absichtlich geschah, die Schiffe aber waren dadurch nicht mehr seetüchtig. Der Freibord war zu gering und überkommende Seen schlugen die Luken ein oder richteten anderen großen Schaden an, der dann zum Untergang führte; der Reeder kassierte die Versicherungssumme die oftmals kurz zuvor noch erhöht worden war. Die ertrunkenen Seeleute waren leicht zu ersetzen, es gab genug davon. Es existierten damals keinerlei Vorschriften wie tief Schiffe abgeladen werden durften, das lag ganz allein im Ermessen des Reeders oder des Kapitäns.

In seinem berechtigten Zorn über die Skrupellosigkeit der Reeder und versehen mit einer gehörigen Portion Zivilcourage startete der ehrenwerte Mr. Plimsoll eine Kampagne für die Einführung eines verbindlichen Mindestfreibords für alle Schiffe der Handelsmarine. Er mobilisierte die Öffentlichkeit über die Zeitungen, er deckte das damals noch mächtige ”House of Lords" mit Anfragen und Denkschriften ein, er hielt flammende Reden im Unterhaus und schrieb Briefe an die Admiralität und den mächtigen Premierminister Disraeli und sorgte dafür, dass auch die Königin von dem unheilvollen Treiben der Reeder erfuhr. Kurzum, er fiel allen Verantwortlichen im Lande gehörig auf die Nerven.

Mr. Plimsolls Idee fand großen Anklang in der Öffentlichkeit und im Jahre 1890 verabschiedete das Unterhaus unter dem Druck eben dieser Öffentlichkeit die ”Unseaworthy Ships Bill" (Gesetz gegen nichtseetüchtige Schiffe). Dieses Gesetz zwang die Reeder, eine Freibordmarke außenbords an beiden Seiten ihrer Schiffe anzubringen. Zu Ehren des tapferen Abgeordneten wird diese Markierung noch heute ”Plimsollmarke" genannt. Der Freibord, das ist der Abstand zwischen dem waagerechten Strich, der den Kreis durchschneidet, und dem Hauptdeck des Schiffes (Freiborddeck), er darf auf keinen Fall unterschritten werden. Der seltsam anmutende Baum neben dem Kreis gibt die Freiborde für unterschiedliche Jahreszeiten, Wasserdichte und Klimazonen an.

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Von oben nach unten:
TF - Tropen Frischwasser
F -   Frischwasser


T - Tropen
S - Sommer
W- Winter
WNA - Winter Nordatlantik

 

Die Jahreszeiten und die Klimazonen sind international einheitlich festgelegt für die ganze Erdkugel, die Frischwassererlaubnis ist die Tiefertauchung des Schiffes in Frischwasser gegenüber Seewasser. Man sieht an der Marke, dass der größte Freibord im Winter auf dem Nordatlantik vorgeschrieben ist und das hat natürlich seinen guten Grund: Es sind die miserablen Wetterbedingungen in dieser Weltgegend im Winter (vom 16.Oktober bis zum 16.April nördlich 45° N zwischen 15° und 50° W). Berechnet wird der Freibord individuell für jedes Schiff nach einem komplizierten Verfahren von den anerkannten Klassifikationsgesellschaften und dann wird er von der zuständigen Regierungsbehörde dem jeweiligen Schiff erteilt.
In diesem Falle wurde einmal durch die Initiative eines einzelnen klugen und tapferen Menschen die vor nichts zurück schreckende Profitgier in die Schranken verwiesen.

Den Winter im Nordatlantik lernte ich ausgiebig kennen während meiner Fahrtzeiten auf der ”Marie Leonhardt" in den Jahren 1961-64 (Kohlefahrt zwischen Norfolk/Hampton Roads und Elbe/Weser Häfen) und 1974/75 (Phosphatfahrt Murmansk - Rotterdam und El Aiun - Brunsbüttel).

An eine Reise erinnere ich mich besonders, das muss im November/Dezember 1963 gewesen sein; die Reise ging von Harburg nach New Port News in Ballast und mit Kohle zurück nach Wedel/Holstein. Damals war ich junger 3. Offizier, erst im Sommer desselben Jahres hatte ich mein Examen zum Patent A 5 an der Seefahrtschule Lübeck am Kaisertor bestanden und seitdem nur eine kurze Fahrtzeit von 4 ½ Monaten auf M/S ”Lotte Leonhardt" in diesem Dienstgrad absolviert, war also noch recht grün hinter den Ohren was den Dienst als Steuermann betraf.

Ich stellte mich gleich nach dem Anbordkommen beim Kapitän vor. Der sprang nun nicht gerade vor Freude in die Luft als er hörte, dass ich mein Patent eben erst gemacht hatte und von den 4 ½ Monaten Dienst auf der ”Lotte" auch noch gute 2 Monate im Hafen verbracht hatte; in Danzig nämlich, wo wir eine volle Ladung Rohrzucker in Säcken gelöscht hatten. Der Zucker kam aus Cuba, die Sowjetmacht hatte beschlossen, Fidel Castro seinen Zucker abzukaufen, den die USA nicht mehr haben wollten, weil denen die ganze Richtung nicht passte, die Fidel einschlug.

Da die Russen so viel Zucker gar nicht gebrauchen konnten, wurde kurzerhand Polen und der DDR befohlen, den Großteil des Zuckers abzunehmen und zu raffinieren, die Anlagen waren in diesen Ländern ja vorhanden.Das stieß insbesondere den Polen sauer auf, da sie ja selbst Zucker exportierten; die Russen waren so wie so nicht sonderlich beliebt beim polnischen Volk und so machten die Hafenarbeiter Dienst nach Vorschrift, renitent wie sie nun mal waren. Für 12000 to Zucker  brauchten sie 66 Tage; normalerweise wurde das in 20 Tagen erledigt.

Dem Alten war förmlich anzusehen was er dachte: ”Warum kriege eigentlich immer ich die grünen Jungs frisch von der Schule; keine Erfahrung, noch weniger Ahnung, können noch nicht allein Seewache gehen und was weiß ich was sie sonst noch alles nicht können." Sagen aber tat er: ”Wir sollen morgen Nachmittag auslaufen, als ersten Job hier an Bord werden Sie mir eine vernünftige Wetterkarte zeichnen damit ich weiß, was im Nordatlantik los ist und ich mich entscheiden kann, ob ich nördlich von Schottland durch den Pentland Firth und dann auf dem Großkreis nach Norfolk versegle oder ob es angebracht ist, den Kurs durch den englischen Kanal zu nehmen um notfalls weit nach Süden ausholen zu können und das Gröbste zu vermeiden. Lassen Sie sich also vom Funker die letzte Analyse geben und ran ans Werk. Sie werden das ja wohl können, so frisch von der Schule wie Sie sind. In Zukunft bekomme ich zwei mal täglich eine Karte von Ihnen. Ach so, rechnen Sie mir auch gleich die Distanzen für beide Möglichkeiten aus und zeichnen Sie die Kurse grob in die Wetterkarte mit ein. Geben Sie sich Mühe und lassen Sie mich nicht so lange warten, ich muss heute noch an Land."

Ich ab zum Funker; der: ”Was zum Teufel sind das für neue Moden, der Alte kriegt jeden Morgen mit dem Büroboten die neueste Wetterkarte vom Seewetteramt und wo soll ich jetzt eine Analyse herkriegen, ich setz`mich doch im Heimathafen nicht an meine Kiste und nimm `ne Analyse auf. Im Hafen ist die Funkbude dicht und ich fahr' jetzt nach Hause, nach Schwarzenbek, zu meiner Frau, fertig! Seht doch zu, wo ihr eure Analyse herkriegt. Im Übrigen meine ich, dass der Alte Dich nur testen will, aber nicht auf meine Kosten bitte. Ich geb' Dir einen Rat, schnapp dir die neueste Karte vom Seewetteramt, sie liegt irgendwo im Kartenhaus, mal sie einfach ab, bau`ein paar Fehler ein und präsentiere ihm das Machwerk; wichtig ist, dass deine Karte nicht zu gut wird, er muss was zu meckern haben sonst wird er misstrauisch." ”Meinst du, dass es gut für mich ist, wenn ich meinen Job gleich mit so einer Mogelei anfange?" fragte ich kleinlaut. ”Ach was, der Alte weiß genau, was er tut und wenn er merkt, dass du dich auf intelligente Weise aus der Affaire ziehen kannst, wird er zufrieden sein, wirst schon sehen," gab er zurück und verschwand an Land nach Schwarzenbek zu seiner Allerliebsten.

Ich machte mich ans Werk als Kunstfälscher, malte irgendwo auch ein Zwischenhoch hin wo keines war, verwechselte die Symbole für Warm- und Kaltfront und legte nach angemessener Zeit dem Alten die etwas krakelige und in unwesentlichen Details auch veränderte Kopie der offiziellen Karte des Seewetteramtes vor. Der Alte grinste und meinte: ” Wenn ich Sie jetzt bitte, mir die Analyse zu zeigen, die ja Grundlage dieser wunderschönen Karte ist, werden Sie sicher ihr tiefstes Bedauern darüber ausdrücken dass Sie diese leider schon weggeworfen haben da ja nichts älter ist als die Analyse des Wettergeschehens von vor 6 Stunden." Dem konnte ich, allerdings mit hochrotem Kopf und tiefer Beschämung, nur zustimmen. Der Alte ließ es dabei bewenden, kein Wort des Tadels, kein weiterer Spott; die Sache war erledigt, er aber hatte in mir einen Bewunderer seiner Menschenkenntnis gefunden.

 

     

 

Eine typische Wetterkarte des Nordatlantik mit 2 umfangreichen Sturmtiefs .
Zur Orientierung: links oben Florida, rechts unten die Azoren, etwa in der Mitte Neufundland.

 

Am nächsten Nachmittag liefen wir aus wie geplant. Der Kapitän hatte entschieden, die südliche Route zu nehmen, im Atlantik jagte ein riesiges Tiefdruckgebiet das andere, seit vielen Tagen schon wehte der Wind mit Sturmstärke und zeitweise mit Orkanstärke aus westlichen Richtungen, eine gewaltige See musste sich mittlerweile aufgebaut haben. Wir mit unserem Schiff in Ballast mit nur geringem Tiefgang und dadurch auch wenig Wasser an der Schraube, mussten weit nach Süden ausholen um in ruhigeres Wasser zu kommen und überhaupt eine Chance zu haben gegen Wind und See über den Teich zu kommen. Aber diesmal sollte es anders kommen.

Als wir Ausgang des englischen Kanals unsere Nase in die Biskaya steckten, blies es schon mit Beaufort 10. Die See war noch gar nicht mal so hoch, so ca. 5 - 7m aus SW, dazu lief allerdings noch eine Dünung von etwa 10 m Höhe aus NW. Jetzt begann das berüchtigte und gefürchtete ”Slamming" (Aufsetzten des Vorschiffes auf das Wasser) und es dauerte eine Weile bis Kurs und Geschwindigkeit so justiert waren so dass dieses Slamming nur ganz selten vorkam, möglichst aber gar nicht. Bei hoher vorlicher See und nicht angepasster Geschwindigkeit hob sich das leichte Vorschiff manchmal sehr hoch aus dem Wasser, bis auf 1/3 Schiffslänge, die Welle lief unter dem Schiff hindurch und das Schiff schlug mit seinem Flachboden mit voller Wucht auf die Wasseroberfläche im folgenden Wellental, eine Masse von etwa 4000 tons aus 3 - 4 m Höhe oder auch mehr, je nach Wellenhöhe und Geschwindigkeit. Das knallte furchtbar und das Fahrzeug wippte wie ein Peitschenstiel, der Schiffskörper wurde sehr stark beansprucht in seiner Längsfestigkeit, es konnten Risse auftreten und es sind vereinzelt auch schon Schiffe durchgebrochen und gesunken. So ein Schiffskörper ist ja eigentlich ein langer, hohler Kastenträger aus Stahl und außerordentlich elastisch und wenn er gut durchkonstruiert ist und noch keine altersbedingten Schwachstellen hat, die besonders auch durch Korrosion entstehen, kann er eine Menge Belastung wegstecken.

Der Alte hatte bis zum Einbruch der Dunkelheit den Seegang und das Schiffsverhalten sorgfältig beobachtet und so lange kleine Korrekturen an Kurs und Geschwindigkeit angebracht, bis das Schiff optimal in der See lag. Er richtete sich jetzt für die Nacht im Kartenhaus ein, ließ sich vom Salonsteward eine Wolldecke und eine Thermoskanne Kaffee nach oben bringen, gab mir Order, ihn sofort zu wecken wenn das Wetter, insbesondere die Windrichtung sich signifikant verändern sollte und legte sich auf der Bank im Kartenraum zur Ruhe.

Das Radar lief, die Seegangsenttrübung hatte ich hoch eingestellt, sonst wäre der Schirm vor lauter Seegangsreflexen nur noch weiß gewesen. Die Kaltfront des Sturmtiefs musste uns bald erreichen, ich wollte nicht überrascht werden, deshalb lief das Radar, es würde das Wolkenband der Front gut anzeigen. Der Durchgang einer Kaltfront konnte recht spektakulär sein, viel Regen, heftige Gewitter in der Front; hinter der Front ein plötzlicher Windsprung nach NW, aufklarender Himmel, fallende Temperatur, steigender Luftdruck und oft eine starke Zunahme des Windes.

Da kam sie auch schon; in 12 Meilen Abstand war die Wolkenfront deutlich auszumachen, sie näherte sich schnell. ”Ich wecke lieber den Alten, dann kann er sofort reagieren falls nötig" dachte ich  und tat's. Er war sofort auf den Beinen. ”Was ist los?" ”Die Kaltfront geht bald durch, sie ist im Radar gut ausgeprägt zu sehen, sieht heftig aus," gab ich ihm Bescheid. Jetzt gesellte sich zu dem Spektakel, das der Sturm veranstaltete, auch noch Blitz und Donner eines allerheftigsten Gewitters, der Regen fegte waagerecht über das Schiff, die Klarsichtscheiben schafften die Wassermassen nicht mehr weg und wir fuhren blind, nach Gehör sozusagen. Nachdem uns das Gewitter passiert hatte, wurde es für einen kurzen Augenblick ganz ruhig, nur das Rauschen der brechenden Seen war zu hören; dann aber setzte der Sturm wieder voll ein, diesmal aus dem erwarteten Kompassstrich Nordwest. Der ¾ Mond kam hinter den jagenden Wolken heraus und man konnte Richtung und Stärke des Seegangs ganz gut an den weißen Schaumstreifen erkennen. Windsee und Dünung kamen jetzt aus der gleichen Richtung und sehr bald hatte sich ein Seegang von beachtlicher Höhe entwickelt. Der Kapitän änderte nun den Kurs so, dass die See ungefähr 2 Strich von Steuerbord einkam, die Fahrtstufe war ja schon vorher so eingerichtet worden, dass das Schiff gerade noch steuerfähig war, an Distanz gutmachen war eh nicht mehr zu denken, es ging jetzt nur darum, das Schiff steuerfähig zu erhalten und eine einigermaßen akzeptable Lage zum Seegang einzunehmen.

Dann: "Steuermann, sehen Sie den Kaventsmann, der da angerollt kommt, der ist ja mindestens um die Hälfte höher als der Rest der Brecher!" Ich sah den Kaventsmann und mir schoss sofort die alte Regel durch den Kopf ”Kaventsmänner treten meist in Gruppen auf, oft zu dritt. ”Rudersmann!" bellte der Alte, "wenn das Schiff anfängt zu steigen, das Ruder mittschiffs und den Dampfer nach Backbord abfallen lassen, Steuermann an den Telegrafen, auf Achtung legen." Das Schiff fing an, den gewaltigen Wasserberg zu erklimmen, das Vorschiff hob sich weit aus dem Wasser, aber der Rudersmann hatte begriffen und ließ den Dampfer abfallen, der Junge hatte ein gutes Gefühl für das Schiff, und dieses setzte dann auch einigermaßen sanft in das Wellental ein. ”Hart Steuerbord das Ruder, Maschine voll voraus, Schiff wieder auf Kurs bringen," brüllte der Alte. Das Manöver glückte, das Schiff kam zurück auf Kurs."Recht so, Maschine ganz langsam voraus," Beim zweiten Brecher der Serie glückte es wieder auf die gleiche Art. Aber dann, beim dritten Kaventsmann wollte das Schiff einfach nicht abfallen nach Backbord und knallte nach dem Durchgang des Wellenkamms mit aller Härte vierkant auf das Wasser; die Erschütterung war gewaltig, Geräte, vor allem auf der Brücke und in der Funkbude, wurden aus den Wandhalterungen gerissen, die Hauptmaschine blieb kurzfristig stehen und die Stromversorgung war auch kurzfristig unterbrochen; praktisch der GAU bei diesem schlechten Wetter. Aber das Maschinenpersonal war auf Zack und binnem Kurzen, bevor Schlimmeres passieren konnte, waren Hauptantrieb und Stromversorgung wieder hergestellt und wir waren zumindest wieder manövrierfähig.

”Schadenskontrolle, wecken Sie die beiden anderen Steuerleute, ebenso Boots- und Zimmermann, sie sollen auf die Brücke kommen, dann holen Sie mir den Chief ans Telefon, ich muss wissen, was in der Maschine los ist," wies der Alte mich an. Er selbst drehte jetzt das Schiff und nahm die See schräg von Backbord achtern. Die Leute kamen nach oben, viel zu wecken gab es da nicht, alle Mann an Bord waren wach nach diesem gewaltigen ”Schlag ins Wasser". Der Alte gab also seine Anweisungen wo besonders auf strukturelle Schäden kontrolliert und nachgesehen werden sollte. ”Ganz besonders genau müsst ihr die Lukenecken checken und hier speziell die von Luke 5 Vorkante, das sind die Schwachpunkte auf diesem Schiff; ihr müsst schon sehr sorgfältig vorgehen und soviel Licht wie möglich mitnehmen; und nun los," gab der Kapitän Order.

Es dauerte gar nicht lange, da kam die erste Hiobsbotschaft nach oben; der 2. Offz.hatte eine langen Riss im Hauptdeck, ausgehend von der Backbord Lukenecke von Vorkante Luke 5, festgestellt, konnte aber das genaue Ende des Risses nicht feststellen, vermutete aber, dass er bis zur Bordwand lief, bis zum Schergang also. Dann, kurz darauf die zweite Meldung: Auch an Steuerbordseite befände sich ein Riss, diesmal ausgehend von der Steuerbord Lukenecke Vorkante Luke 5, etwa 3 m lang, das Ende des Risses sei gut auszumachen.

Es war sofort jedem klar: An eine Weiterreise war nicht zu denken, es bestand allergrößte Gefahr, dass das Schiff an eben dieser Stelle, nämlich Vorkante Luke 5, in zwei Teile zerbrechen würde wenn man weiterhin versuchte gegen dieses Wetter anzudampfen. Notreparatur!

Wenn man das Ende eines Risses in einer Stahlplatte genau lokalisieren kann, muss man diesen Riss genau dort abbohren und er wird aller Voraussicht nach nicht weiterlaufen, vorausgesetzt, die Beanspruchungen halten sich im Rahmen.Das Problem ist, das genaue Ende des Risses zu finden. Dazu gehört viel Fingerspitzengefühl, noch mehr Glück, ein guter und scharfer Bohrer und womöglich ein Schiffbauer mit Erfahrung. Es gab auch damals schon chemische und elektromagnetische Verfahren, um dieses Problem zu lösen, aber wegen der hohen Kosten war die erforderliche Ausrüstung nicht an Bord. Wir hatten aber sonst alles, unser Zimmermann war zwar gelernter Bootsbauer, hatte aber lange auf einer Werft als Stahlschiffbauer gearbeitet. Sein Werkzeug hielt er nach alter Sitte immer Tipptop in Ordnung und als verschrobener und etwas eigenbrötlerischer Typ hatte er auch viel Fingerspitzengefühl und Glück. Kurz: er fand auf beiden Seiten das Ende der Risse, bohrte sie mit 12 mm ab und wagte zu behaupten: Wenn der Alte sich jetzt vernünftig verhält und nicht wie ein Wilder durch die Gegend fährt und meint er könnte jetzt noch eine Nordatlantiküberquerung mit diesen beiden Bohrlöchern wagen, dann werden wir mit ganzem Schiff und heiler Haut bis in die Reparaturwerft kommen.

Aus Hamburg kam die Order: ”Zurücklaufen nach Falmouth zur Werft zwecks endgültiger Reparatur des Seeschadens.

Na ja, umgedreht hatten wir ja schon, bei Tageslicht habe ich mir die Risse dann auch angesehen und sie klafften bei den Stampfbewegungen in der hohen, jetzt achterlichen See, so weit, dass man bequem damit Nüsse hätte knacken können. Aber, das Wichtigste, die Abbohrungen hielten, was der Zimmermann versprochen hatte und wir liefen also zurück nach Falmouth, kamen in einem Stück dort an, ließen den Schaden fachmännisch reparieren und machten uns nach 5 Tagen wieder auf den Weg nach Norfolk. Es war immer noch Winter und es war immer noch der Nordatlantik. Statt der normalen 12 Tage für die Überreise brauchten wir diesmal 23 Tage, kamen kaum zum schlafen, wussten tagelang nicht, wo wir waren, da Sonne, Mond und Sterne sich wegen einer durchschnittlichen Himmelsbedeckung von fast 100 % äußerst rar machten und waren aufs äußerste frustriert.

Im Großen und Ganzen aber hatten wir doch mal wieder Glück gehabt, das Schiff war nicht auseinander gebrochen, es war nicht gesunken, es hatte nicht einmal Verletzte gegeben.

Die ”Marie Leonhardt" machte diesen Kohleschütteltrip dann ganze 7 Jahre lang und hat das ganz gut überstanden. Erst im August 1984 wurde sie zum Abbruch in die Volksrepublik China verkauft.

Tschüss bis zur nächsten Story im Juli.

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